HANS SCHÄDEL UND
FRIEDRICH EBERT

GEDENKKIRCHE
MARIA REGINA MARTYRUM

1963

Die nahe der Gedenkstätte Gefängnis Plötzensee errichtete Anlage ist der West-Berliner Gedenkbau für die Märtyrer zur Zeit des Nationalsozialismus. Er entspricht damit der Krypta der St.-Hedwigs-Kathe­drale in Ost-Berlin mit dem Grab von Probst Lichtenberg. Der Platz vor der Kirche bietet Raum für Messen mit 10.000 Teilnehmern. Der Glockenturm ist skulptural-kubisch als Zugangstor gestaltet. Der Kirchenraum, umhüllt von gewaltigen, weiß schimmernden Waschbetonplatten, spannt sich stützenlos in vier Metern Höhe über den Außen-Altar. Symbolisiert wird so die Kirche als Mittlerin zwischen Himmel und Erde. Eine lange, gerade Treppe mit vorzüglichen Details führt zur golden schimmernden Taufkapelle, vor der man sich in den monumental-kargen Saal wendet. Kaum fallen die Holzverschalungen an den Decken auf, prägend sind die kargen Sichtbetonwände, erhellt nur durch Fensterschlitze. In der Unterkirche, in goldenem Ton gehalten, wird der verfolgten und ermordeten Glaubenszeugen gedacht. Neben der Kirche befindet sich ein Kloster der Karmeliterinnen, das Gemeinde-, das Pfarrhaus und ein Kindergarten.

REINGARD HOFBAUER

ST. JUDAS THADDÄUS

1959

Bis ins letzte Detail wird in diesem großen, parabel­förmig ausgeweiteten Bau ponderierte Symmetrie zum Thema. Der mittig stehende, aber dreieckige Betonturm fasst den Eingang mit den charakteristisch tütenförmig vorkragenden Dächern. Die mit blauem Kleinmosaik, einer schweren Taufschale und kleinen, indirekt von oben beleuchteten Nischen versehene Vorhalle leitet über in den großen Saal. Seine langen Linien weiten sich hin zum Altarbereich.
Dezent wird der Raum durch kleine Lochfenster erhellt, überall blitzen in die Wand eingelassene Dekorsteine auf. Die Orgel ist flach in die Wand eingelassen, wird so zu einem Teil der Architektur. Die Erstausstattung ist noch weitgehend erhalten bis hin zu den an Peitschenlampen erinnernden Beleuchtungskörpern. Unterhalb des Altars befindet sich eine Krypta, die über ein Betonglasfenster erhellt wird.

LUDOLF VON WALTHAUSEN

KIRCHE ALT-LIETZOW

1961

Fünf Vorgängerbauten gab es in Alt-Lietzow, dem Vorgänger des heutigen Charlottenburg, die durch Brände oder Krieg zerstört wurden. Der schlanke Turm hebt sich weithin sichtbar, ein zierlicher Gang verbindet Kirche und Gemeindezentrum. Über einem rechteckigen Grundriss steht als Kirchensaal ein steiles Satteldach, erinnert an die zeitgenössische Mode der „NurDa“-Häuser, aber auch an die Metapher vom Tempelzelt. Die Wände sind trapezoid verzogen, auf der einen Seite geschlossen gemauert, auf der anderen verglast. Hin zum Altar gewinnt der Raum an Höhe. Zu beachten sind die auffälligen Auflagerpunkte an den Stellen, wo die verschiedenen Geometrien aufeinandertreffen. In V-förmiger Anordnung ruhen hier die Stahlbetonträger, zwischen denen einfache Holzverkleidungen spannen.

ULRICH CRAEMER

ST. WILHELM

1965

Selten sind Kirchen so radikal industriell wie diese, bis hin zum Glockenturm, der wie ein Wasserturm von vier diagonal gestellten Betonscheiben getragen wird. Der kubische Kirchensaal wird außen geprägt vom schweren Architrav aus Betonfertigteilen und den satinierten, durch Aluminiumrahmen gefassten Verbundglasscheiben. Innen wird das Licht zusätzlich weich gebrochen durch horizontale Betonlamellen. Der Orgelempore über dem Eingang aus massigem Beton antwortet das zierliche Raumfachwerk der Deckenkonstruktion. Als eine der ersten Kirchen­neubauten zeigt sich hier die Reaktion auf die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils: Die Sitzbänke sind durchweg auf den Altar orientiert, der durch eine reich geschmückte Wand als Schatteninsel in all dem Licht herausgehoben ist.

DAS BUCH

Beton und Glaube fasst die faszinierenden Kirchenbauten der Nachkriegsmoderne zusammen und stellt herausragende Beispiele anhand eines großformatigen Bildbands dar. Der etablierte Fotograf Patrick Voigt und der bekannte Architekturkritiker Nikolaus Bernau haben die Bauten der „schwierigen Moderne“ präzise und informativ in Bild und Text dokumentiert. Dieser Bereich der Baukultur ist bis dato nicht thematisiert worden. Daher stellt Beton und Glaube nicht nur dieses spannende Thema dar, sondern dient auch zur Dokumentation der zum Teil bedrohten Bauwerke.

Betonkirche, Seelenbunker, Bet-Zelt – es gibt viele Spottworte für Kirchenbauten der ersten Nachkriegszeit. Die scharfe Kritik an der „brutalistischen“ Architektur, an anonymen Hochhauswohnsiedlungen, am autogerechten Städteumbau verbindet sich dabei oft zu einer generellen Zeitkritik. Übersehen wird jedoch, dass es in dieser Epoche der Architekturgeschichte nicht weniger Einfalls- und Formenreichtum gab als in anderen. Kaum jemals wurde architektonisch derart viel erprobt und gewagt wie in der Zeit von Kriegsende bis Mitte der siebziger Jahre. Dabei liegt der baukünstlerische Wert dieser Kirchen auch in der Hoffnung und dem Willen, die Zukunft mittels der gebauten Moderne sicher und nachhaltig zu gestalten.

Der Fotograf Patrick Voigt begibt sich auf die Entdeckungsreise zu dramatischen und kraftvollen Kirchenbauten im einstigen West-Berlin, begleitet von dem Architekturhistoriker Nikolaus Bernau. Beton und Glaube bietet eine aktuelle Übersicht schützenswerter Kirchen der Nachkriegsmoderne und regt zu einem sinnvollen Umgang mit diesem kulturellen Erbe an.